Aus Jacques
Rigaut »Suizid«
Ich werde
ernst sein wie das Vergnügen. Die Leute wissen nicht, was sie sagen.
Es gibt keine Gründe zu leben, aber es gibt erst recht keine Gründe
zu sterben. Es zu akzeptieren ist das einzige, was uns unsere Verachtung
für das Leben bezeugen läßt. Das Leben ist es nicht wert,
daß man sich die Mühe gibt, es zu verlassen. Man kann es einigen
anderen aus Barmherzigkeit ersparen, aber sich selbst ? Die Verzweiflung,
die Gleichgültigkeit, die Treulosigkeit, die Treue, die Einsamkeit,
die Familie, die Freiheit, die Schwerfälligkeit, das Geld, die Armut,
die Liebe, das Ausbleiben der Liebe, die Syphilis, die Gesundheit, der
Schlaf, die Schlaflosigkeit, die Begierde, die Impotenz, die Platitüde,
die Kunst, die Ehrbarkeit, die Schande, die Mittelmäßigkeit,
die Intelligenz, alles kein Grund zur Aufregung. Wir wissen viel zu sehr,
wozu diese Dinge gut sind, um uns vor ihnen in acht nehmen zu können,
sie sind gerade gut genug, um einige belanglose Fälle von Suizid
zu verbreiten. (Sicher, es gibt zweifellos das Leiden des Körpers.
Mir geht es gut, umso schlimmer für die, die leberkrank sind. Ich
bin weit davon entfernt, an den Opfern Gefallen zu finden, aber ich will
es den Leuten nicht verübeln, wenn sie meinen, sie könnten ein
Krebsgeschwür nicht aushalten.) Und dann, nicht wahr, ist es der
Revolver, mit dem wir uns heute abend töten werden, wenn es uns beliebt,
der uns befreit, der uns jede Chance zu leiden raubt. Die Verstimmung
und die Verzweiflung sind im übrigen immer nur neue Gründe,
am Leben hängen zu bleiben. Schön bequem, der Suizid : ich denke
unauffhörlich daran; zu bequem : ich habe mich nicht getötet.
Ein Bedauern bleibt bestehen : man möchte sich nicht davonmachen,
bevor man sich kompromittiert hat, man möchte, wenn man sich davon
macht, Notre-Dame, die Liebe oder die Republik mit sich nehmen.
Der Suizid muß eine innere Berufung
sein. Ein Blut, das zirkuliert, und das eine Rechtfertigung für seinen
endlosen Kreislauf fordert. In den Fingern herrscht die Ungeduld, sich
endlich in die hohle Hand einzugraben. Das ist der Juckreiz einer Aktivität,
die auf den zurückweist, der sie an den Tag legt, wenn es der Unglückliche
versäumt hat, sich ein Ziel zu geben. Begierden ohne Inhalt. Verlangen
nach dem Unmöglichen. Hier erhebt sich die Grenze zwischen den Leiden,
die einen Namen haben und einen Gegenstand, und jenen anderen, die anonym
und selbsttätig sind. Für den Geist ist das eine Art von Pubertät,
so wie man sie in Romanen beschreibt (denn ich bin natürlich viel
zu jung korrumpiert worden, um eine Krise zu der Zeit erkannt zu haben,
als sie sich im Schoße zu regen begann), aber man überwindet
sie anders als durch den Suizid. Ich habe nicht viel ernst genommen; als
Kind streckte ich den armen Alten, die meine Mutter auf der Straße
um ein Almosen baten, die Zunge heraus und ich zwickte insgeheim ihre
Gören, die vor Kälte heulten; als mein sterbender Vater beabsichtigte,
mir seine letzten Wünsche anzuvertrauen, und mich an sein Bett rief,
packte ich das Dienstmädchen und sang : Deine Eltern in den Tod
mußt wiegen, — Wirst schon sehn wie wir uns dann lieben .......
Ich glaube, jedesmal wenn ich das Vertrauen eines Freundes enttäuschen
konnte, habe ich das kaum unterlassen. Aber es ist ein bescheidener Verdienst,
die Güte zu verspotten, die Barmherzigkeit zum Narren zu halten,
und das treffendste Element der Komik ist es, die Leute um ihr kleines
bißchen Leben zu bringen, grundlos, nur um zu lachen. Die Kinder
irren sich darin nie und wissen das ganze Vergnügen auszukosten,
das darin liegt, Panik in einem Ameisenhaufen zu stiften, oder zwei, beim
Rumhuren erwischte Fliegen zu zerquetschen. Während des Krieges warf
ich eine Granate in einen Unterstand, als sich zwei Kameraden gerade fertig
machten, um in Urlaub zu gehen. Welch schallendes Gelächter, das
Entsetzen im Gesicht meiner Geliebten zu sehen, die ich, als sie erwartete,
eine Liebkosung zu empfangen, mit einem Schlagring schlug, und als ihr
Körper einige Schritte weiter zusammensackte; und welch ein Spektakel,
diese ganzen Leute, die sich aus dem Gaumont-Palast herauskämpften,
nachdem ich dort Feuer gelegt hatte. Heute abend, Sie haben nichts zu
befürchten, habe ich die Lust, die Laune und die Phantasie, ernst
zu sein. — Offensichtlich ist an dieser Geschichte nicht ein wahres
Wort, und ich bin der artigste kleine Junge von Paris, aber ich habe so
oft Vergnügen daran gefunden, mir vorzustellen, ich hätte solcherlei
ehrbare Heldentaten vollbracht oder wäre im Begriff, sie zu vollbringen,
daß es keineswegs eine Lüge ist.
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