WIE
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ALMATASTR.
—
HYPERION
V
Prinz Valet,
der schlösse gern
So manchen Kompromiß
Doch sieht er kurz und sagt : Ich lern
Lieber wie es ist |
Scheiße, hatte ich geschrien,
hinein in den schwülen Samstagsommer, Scheiße wie Chaussee.
Denn
da waren gewesen : geschorene Trolle in Ballbrunft, nietenjeansen, heuschnupfig,
weißrotbeschalt, frakturbedruckt und voll der nichtigen Überzeugung
des ganzen Universums. Trotz nackiger Arme für die Jahreszeit eigentlich
zu warm angezogen, wie ich hätte nachweisen können. Jedermann,
spielend, sofort. Aber will ja niemand, weil : hier ist Norden, hier steht
schwach angekristetes Volk knapp aufrecht, ringt um Behauptung und hat
ins Innere gewendet die Haltung, die der Blanke Hans abverlangt. Nördlich
kann der Mensch nicht gut wollen, nicht ernsthaft jedenfalls : aus Selbsteinsicht.
Dazu neigt er allerdings und schwer. Und ist entschieden träge, weil
das Furunkel Kraft, über das er verfügt, draufgeht, Wind und
Regen Tag für Tag Land und Deiche abzuringen und den Gang zur Stütze
anzutreten. Im Norden hat ein Mensch verloren, wenn er morgens liegenbleibt,
und hier verliert er jedes Frühstücksfernsehen, das Gott werden
läßt, und bildet Wortlosigkeiten aus, mit denen er die Klinke
der eigenen Tür putzt und sich Niederlage als wenn nicht Sieg so
doch mindestens Unentschieden verkauft und gestern nicht mehr weiß
was morgen war.
Das ist Antiqua.
Antiqua mit schwungvoll worpswedenem W
am Ende, Widersacher aller Ankömmlinge, grünweiß langgemähnt
und gemeinhin antiadipös, hatte — notorisch ungewogen —
die Gäste aus Süd nicht abgeholt und schlürfte den Heimvorteil
bis zur Neige, hielt sich an Lederschlingen in Sondereinsatzwagen der
Straßenbahn oder trat vorab schon mal den Sand vorm Stadion krumm
und knüllte Büchsen vor Kraft ... knipp nach Mittag und Schwaben
aus einer Silbe und gesundgedrungenen Klangkörpern, Pfiffe, mächtige
Kuppeln zu schneiden, bevorzugen sie und alles, wenn nur laut und wehvoll,
und sind hallverliebt und knopfäugen unversöhnlich eine Welt,
die sie, mag sein, sehr gut verstehn. Mitesser in rötlichen Höfen
und buschige Brauen umkränzten wahre Anmutungen von Augen, einige
hinter seltsamen Brillen, deren Bügel ersetzt waren durch Bänzel
aus Gummi oder Textil. Kaum genau auszumachen. Clemens muß meinem
staunenden Blick gefolgt sein. Purer Mutwille, ihn nicht zu fragen, er
aber klärte mich unverzüglich auf : Die Sorte Gestell, die
du an den Nasen dort siehst, und er schob unmerklich sein Kinn schlechtrasiert
fanhin und auffällig, wie er das Fingerheben vermied, als ob Bürgermeister
und Ortsamtvorsteher ihn so nicht schon gesehen hätten und wie er
auch tut, quert ein Stabsoffizier seinen Weg, trägt wesenhaft
nur der Infantrist unter seiner ABC-Schutzmaske. Diese Jungs müssen
sehr entschlossen sein, sehr entschlossen. Zu
allem, würde ich sagen, wenn ichs nicht besser wüßte.
Die Augen aber, um die es ging, scherten sich nicht und dachsten weiter
gebettet auf einem Ruherumpf, unter dem zwei Beine — wenn die nicht
Kumpelbeinen reglos gerottet redendrauchend gegenüberstanden —
strebten, immer Richtung irgendeines Exits oder Getränkeausschanks.
Soweit langweilig. Jedoch :
an den Schultern der einsilbligen Bölker
scharnieren zwei Henkel. Die laufen aus in hintwärts gebogene, synchron
schwingende Korbschaufeln — wie der mickrigste KuWi, der einmal
eine Übung ›Spiele der Völker‹ besucht hat, jedem
Anatom bezeugte. So tun die Mannen vom Neckar mit ihren Händen. Und
wollen anzeigen was ? Allzeit bereit für Schmiergeld ? Im Staffellauf
mit den Moiren begriffen ? oder erwarten sie großmütig verstohlene
Zettel eines abbitteflehenden Schicksals, das sie hinter sich gelassen
zu haben glauben ?
Nichts von alldem. Ich gucke gern Gesinnungen
an und wär mir öfter augenauf und ich mit Lebensfrist splendider
versehn : ich würds noch ausgiebiger tun. Clemens und ich waren umringt
von Freunden beliebigen Güterumschlags, der Handlungen zu Nacht und
Samstag Halbvier und in Zweifel und Gewißheit Kindern : wir sahen
unwattierte Herzen nach nur dem Sieg pochen. Denn Manistas sind sie von
Sinnesart, Pelota Mano spielen sie, die anerkannt schärfste Variante
und sich Linderung zu geben, ritzen sie mit Klingen ihre Handrücken
auf : so sehr sind sie hart. Da paßt kein Schlagring mehr über
die blutdunsenen Finger. ›Macht nichts‹ und ›Man kann
nicht alles haben‹ — lauten komisch inkonsistent die zwei
Hauptsätze ihrer Philosophie. Satz drei : ›Der Bahnhof in der
Fremde ist unser eigentliches Frontón‹. Also hatte ein Stiernack
unter Aufbietung seines geistigen Vermögens es gewagt : Ei Scheise,
da iesch wiedr Mägdonnalds gwäh. Un solche Sachen alles.
Ja sag, da soll ich nicht dazwischengehen
?
Doch doch, zumal die Bullen sich rausgehalten
haben. Aber die werden nicht dafür bezahlt, den Bahnhof dialektfrei
zu halten, das könnte man wissen, unser Gemeinwesen verneint das
öffentliche Interesse an Hochsprache. Eine politische Entscheidung.
Doch doch, einer mußte es tun, war schon richtig, und vermutlich
das Schlauste, was heute der Bahnhof hören durfte, ›Scheiße
wie Chaussee‹, nicht schlecht. Aber die anschließende Tirade
über den VfB hätte nicht sein müssen. Clemens.
Scheiß drauf. Warum nicht ?
Das Serotonin war knapp, der Totesteronspiegel
hoch. Und weil die Kameraden früh aufgestanden und unausgeschlafen
waren ...
... na und, bin ich auch ...
... nur, den Dreck auf dem Platz
zu sehen, und weil du im Dreck gelegen bist und schlimmer noch : weil
du keine Ahnung hast
Aber es war meine Meinung
Ein Dreck war es
Nicht gut gespielt, ich weiß
Nichts weißt du
Doch. Und meine seidene Paranoia hat den
Plan durchschaut : drei Triangeln hatte der Tag vor, meiner Haut zu reißen,
und milder in seinem Schindgebaren wurde er nur in dem Maß, in dem
er zunehmend selbst sich verzehrte. Wär ich ein saftigerer Knochen
und der Tag in Laune : er könnte währen wie er wollte. Aber
ich laboriere an latentem Skorbut, an mir liegts, daß die Bestie
in stets neuen Anläufen ihren Appetit auf mich wirft, sich enttäuscht
wendet und ich mich nicht mit nur einem Uroboros rumschlagen muß.
Ein Tag ist ein Ruprecht und ich ohne Stiefel.
Im ersten Drittel hatte er mir schwergeschultert über die Stahlbrücke
der Abwesenheit die laue Idee von Schlaf getragen, im Sturmgepäck
noch einen und einen Herzstich und diese und jene kollabierende Erinnerung
— ich malte brav mein Häkchen. Frommer noch die Folgegabe,
an der Oberlippe die Platzwunde, die beim Rauchen schmerzte, und als Bonusbonus
eine zerschürfte Schläfe — statistisch gerechtfertigt,
mein Verblüffen blieb begrenzt. Zuletzt aber sah er außerplanmäßigen
Aufenthalt bei Clemens vor. Medizinische Grundversorgung, komm mit,
etwas Besseres als ein Pflaster im Bad findest du nirgendwo war die
Acquise, unbenutzt, toppte sie sich. Und ich hatte doch nur die
Bedingungen zeigen wollen, unter denen sogar ein Zeuge Jehovas seine Zweisachen
packt.
Nun ist es so : es ist mit Tabak schwierig
— es ist ohne Tabak schwierig. Und beides in jeder Hinsicht. Sogar
in Lebenslagen jenseits von Clemens´ Behausung. Alles eine Frage
des bulbus olfactorius.
Leichtsinnig sabotierte ich den Tagesplan
: Nicht so schlimm, besten Dank
VI
Nur einen
Tag weiter gescrollt, Schauplatz Findorffmarkt : die Statistik und ich
liegen ausgeblutet am Boden. Ich davon abermals. Aufsatz
: ›Von dem, was passiert, wenn man ein guter Mensch wird oder sich
wider das Schicksal stemmt‹. Von Fatis Victricibus
Zwar hatte ich mich kurz umgeschaut und bei der Gelegenheit dem Efeu hallo
gesagt, der fleißig und schalldämmend das Jugendzentrum emporbrandete,
in dem werktags selbstverwaltet und kellergesperrt jugendliche Straftäter
die Verneinung der Idee musikalischer Vervollkommnung üben. Tat aber
doch, als hätt ich den entbotenen Anruf nicht gehört. Aus dem
Augenwinkel : He Sie kam von hinten, von jenseits des leergefegten
Forums ein Hagermännlein mit klappernden Latschen quer vierzig Meter
gespurtet ... daß das nicht über die moosverfugten Pflastersteine
stolperte, sauf votre honneur, die schlagen leichte Wellen, untergründig
wirbelwurzeln erhebliche Strommaste und Ahörner ... und wie geschickt
es den permanentparkenden Isolanis auswich — Gott allein weiß,
was mit denen es auf sich hat, den verlorenen Dateifragmenten auf der
Festplatte des Handels, Eier-Alberts-Verkaufsanhänger, Wurst-Inges-Planwagen,
aber auch handvoll Käfer und Wohnmobile mit rätsligem Dauerpermit.
Die Container Findorffmarkt waren die ergiebigsten der Stadt, Pappe/Papier
dort so wohlsortiert, wie nur eine Population Studienräte es hervorbringen
konnte. Studienräte sind das Heil der Welt — ihre überragende
Natur läßt sie geschaffen sein, alles, was es gibt, gegeben
hat, geben wird, geben oder gegeben haben könnte, ausgeklügelt
zu betrachten mittels allumfassender Spezialbetrachtungen; und wärs
nicht sowieso so und ihre Leidenschaft : das Berufsbild, dem sie sich
ergaben, hielte sie dazu an. Wenn ich also Qualität wollte —
und ich wollte Qualität —, war meine Beschlußlage so
gut wie erzwungen : ich beziehe Zeitungen und Magazine nur hier. Und zwar
sonntags. Sonntag war nach meinen Berechnungen der geeignete Termin, achtundvierzig
Stunden vor Leerung die optimale Füllhöhe für bequemes
Fischen erreicht. Aber : He Sie stand hartnäckig dampfend
und keinesfalls außer Atem ein kopfkleineres Lehrergesicht um verhärmte
Fünfzig in voller Pflege vor mir : gestutzter Kinnbart, pomadengeduscht
und Aftershave im Bauchnabel, verpackt in Khakishorts und Flanellhemd.
Beine behaart, Kniescheiben blank. Hei, Sommerferien. Kleine Narbe über
der linken Braue und gelbe Schneidezähne. Sicher Pfeife. Vielleicht
mit Begeisterung für Bürgerkrieg in der Brust. Ich :
Ich möchte nicht reden. Danke
Was machen Sie da ?
Ich möchte nicht reden, danke
!
Was Sie da machen !
Sie wollens wirklich wissen ?
Gar nichts will ich wissen. Was
Sie da machen !
So werd ichs Ihnen doch erklären
: ich verschaffe mir Lektüre, kompiliert aus herrenlosem Gut
Nicht das
Wie : nicht das ?
Vorher
Wie : vorher ? Ach so, nebenan
: ich habe Glas entsorgt
Es ist Sonntag
Der Tag des HErrn, sehr wohl. Und
Ihre Ich-Botschaft ?
Es ist verboten
vWas ist verboten ?
Lärm
Sie erstaunen mich
Ich erstaun Sie gleich mal anders
vHören Sie, ich las vor fünf
Minuten am Wegesrand, dort am Torfkanal, bei den Enten und Möwen,
ein unausgewaschenes Glas Joghurt auf ...
Das interessiert mich nicht
Dann haben Sie ein Problem
In der Tat. Wie heißen Sie ?
Kann ich Ihnen helfen ?
Ich werd Ihnen gleich Hilfe geben.
Ich zeig Sie an. Wie heißen Sie ?
Nein wirklich, ich möchte
Ihnen helfen
Interessiert mich nicht, was Sie
möchten
nteressant — aber eigentlich
gibts das hier doch nicht, oder ?
vIch geb Ihnen gleich, und zwar
Trabbel
vDarf das mich jetzt mal kurz nicht
interessieren ? — ich hab sogar den Deckel abgeschraubt und extra
nicht mit ins Altglas getan oder oben drauf, wie so viele, hier ist er
und hielt triumphierend den Verschluß in die Höhe
den hätt ich dem nächsten städtischen Abfalleimer übergeben,
dort drüben, die Bushaltestelle, so bin ich erzogen worden, von mir
selbst. Ob ich allerdings jetzt noch ...
... interessiert mich nicht, was
Sie jetzt noch
Gut, einigen wir uns darauf. Was interessiert
Sie dann ?
Ich zeig Sie an. Wie heißen
Sie ?
Verstehe. Sie meinen allen Ernstes
...
... das mein ich
v... — und ich deute jetzt
mal — daß das ›Klirr‹ des Joghurtglases, das ich
dem, wie ich betone : Weißglas übergab — ich hätts
schließlich auch zu Bunt tun können —, und das nicht
tief fiel, nicht mal zu Bruch ging, das ich beinah nur ablegte, der Container
ist so gut wie voll, wir schreiben Sonntag
... das mein ich allerdings
... allen Ernstes also meinen Sie,
daß mein fürsorgliches, freiwilliges, und ich kenne welche,
die würden sagen : zwangsneurotisches Tun — wir waren
entspannt zwei Meter gewandelt, vom Papier zum Glas, meine Hand krallte
und Fingernägel kratzten zwischen 7 und 19 Uhr über den zeitenregelnden,
halbverwitterten und keinen Wochentag ausnehmenden Erlaubtaufdruck —
von Ihnen, der Sie werweißwo standen, als unzumutbare Belästigung
empfunden wurde und in auch nur irgendeiner absurden Relation steht zu
dem Höllenlärm, den eure bescheuerten Kirchenglocken Sonntag
für Sonntag ungebeten veranstalten, über ganze Stadtteile hinweg
? Oder jeden Morgen euer jämmerlicher, verdiente Heiden aus dem Schlaf
reißender Versuch, einen Motor zum Schnurren zu bringen. Was ist
damit ? Langsam hab ich die Faxen dicke, Herr. Sie sprechen mit einem
großen Freund des Schlafes, müssen Sie wissen. ›Schlaf
ist die höchste Genialität‹ — Kierkegaard. Enten-Eller.
Diapsalmata. Wenn Ihnen das was sagt
Es langt
Ich stimmte Ihnen zu, wär da nicht
noch eine Kleinigkeit : Ihresgleichen hat doch das Glas geschlabbert,
gemütlich Bank gesessen und Enten geguckt und so, ich kenn euch Brüder
doch. Zuviel Werbung am Abend zuvor, was ? Umkurvt von lustigen Enkeln
auf Bonanzarädern, umflattert von Weißen Riesen auf Wäscheleinen
und gemästet mit guter Vertriebenenkost aus Pommern. Sagen Sie Dank,
daß ich nicht deutlicher werde
Kein Wort mehr
vNein, diese Messe ist noch nicht gelesen,
noch nicht ganz, Sie selbst, nicht wahr ? Es war Ihr Glas. Gehts Ihnen
um das Pfand ? Sie kriegen keine drei Groschen von mir. Ja wissen Sie
denn nicht, daß Joghurt löffeln und dann in freier Wildbahn
liegenlassen superfies ist ? Ich mahne Sie ab. Haben Sie sich je Gedanken
gemacht über die Enttäuschung des Viehzeugs, das auf Futter
aus ist ? zurecht auf Futter aus ist, weil Sie die natürlichen Ressourcen
beschneiden — ich mahn Sie ab. Und außerdem : auch Enten und
Möwen verletzen sich
Sie verletzen sich jetzt
Das stimmte. Wundersam, wie´s sich
ändert in der Welt, taumlig wird mir da und geschwollen, barock und
grimmelshausig und Wasser schießt ins Gebein und die Lung : gestern
noch hatte ich Clemens´ Pflaster verlacht, heute tropft mir waschechtes
Blut auf den Schlips. grace
au diable
Ich hatte den Kojotenbau eine Woche nicht
betreten. Clemens´ Grußknurren : Chlorus, Lieber, Werter,
was ist Dir ? Und nichts zu lesen dabei ?
Tragomaschalie ! Wenn man mich fragt : ich
halte den markanten Duft unspezifischer Fäulnis, den Clemens und
die ihn hilflos umwohnenden Zimmer kurz nach seinem Auszug aus dem elterlichen
Landhaus angenommen haben müssen, für das explosive Gemisch
einer besonders widerwärtigen Allianz. Da herzten einander sprudelnde
Schweißdrüsen, verstopfte Wasserrohre, empfindungstote Chemorezeptoren
und flakonentflohene Gerüche, die Clemens akkumulativ von Wohnung
zu Wohnung mitzieht. Wenn Clemens in einer Hyazinthenzucht nistete, röche
es auch mit loderndem Fäßchen Schwarzen Krausers delikat bis
streng — und weder nach Tabak noch nach Hyazinth. Ich war nicht
gern in Bocksverschlägen.
Clemens vaporisiert sein Würze mit
der Gewalt eines unbändigbaren Naturphänomens. Und wenn der
Eintritt des einen Zeichens der Verwesung nur einen Tick früher datierte
— wurde dann der Auszug aus dem Elternhaus, wie die Familienlegende
nach dem Codex Clemensis unter Absehung womöglich komplett fassungsloser
Eltern von womöglich nur durchschnittlicher Konstitution es will,
zwingend allein von jugendlichem Freiheitsdrang befeuert ?
Anfangs stülpte ich, wenn ich Clemens
besuchte, die Unterlippe und blies mir Rauch in die Augen, daß ich
ja maßlose Ablenkung besäße. Aber tränende Augen
halfen nichts und fortan schiffte ich im Grenzbereich des Unsäglichen
mit gleich fruchtlosen, aber sanfteren Pontons. Ob also mit oder ohne
Tabak : ich hatte nichts in der Tasche als eine frei kreuzende Aufmerksamkeit.
Clemens schwieg. Vielmehr nörgelte
er. ›Selten‹ ist schlecht. ›Selten‹ ist eigentlich
wie ›immer‹ — und dachte wohl, meine Auftaktbemerkung,
er verzeichne ja seltene Fortschritte in Klarschiff, damit aus
der Welt geschafft zu haben. Immer nörgelte er, alle fünf Minuten
und gesprächsunabhängig, sobald er sich nur auf das aus den
Nähten gehende Sitzkissen, ein amputiertes Zwergenfauteuil, dessen
Strohfüllung floh, gelassen hatte und vis-à-vis des einen
Posters saß : vielgeflickt an Rändern, knittrig und fettgefirnist
: die Empedoklesaufführung Schaubühne Berlin. Nicht, daß
Clemens ölig vor Ort gewesen wär, aber der auf DIN A-1 geblähte
Schnürschuh gefiel ihm. Verköstigung ? fragte Clemens,
kannst schon wieder kauen ? Ich konnte, mochte aber nicht.
Die Küche, in der Clemens ab und an
Ravioli quält, Weißbrot auf dem Herd kokelt und Teebeutel im
Senfglas wärmt, ist wesentlich Rangierraum — und so ist es
Lehrmeinung schon Generationen von Silberfischchen. Zygentomae sind zuverlässige
Gerichtsschreiber, und auch ich, lebte ich gern, lebte zuliebst lichtscheu
wie Justitia und ihre Diener und kann nur bestätigen : neun Monate
im Jahr hieb Clemens besinnungslos auf die Zeit ein (Notwehrex zeß,
reiner Notwehrexzeß ! Ich durchleide leibhaftig, was einem herkömmlichen
Staatsanwalt nur ein popeliger Winkelzug ist) und wälzte die
Nationalliteraturen seiner Bibliothek von A nach B. Großer Systematiker,
er, großer Simulant von Bewegung auch. Zwei Wochen waren die englischzungigen
Bestände von den Wänden des Flurs nun abgebaut, ohne woanders
als am Boden dann aufgestellt worden zu sein. Clemens jedenfalls zauberte
aus Hüten, die er nicht besaß, Unmengen Notwendigkeit —
die ihn nicht knutete : verschiedentlich per launiger Zusatzerklärungen,
teils des besonderen Inhalts, wie hart es ihn ankäm, über keine
Garderobe zu verfügen und daß er eine Kleiderablage vermisse
wie nichts zweites, denn erst die mache den ganzen Mann, das sei die Summe
seiner Erfahrung als leibhaftiger Enkel, teils des allgemeineren Inhalts,
stets Gründe zu haben und zu tun was zu tun sei, zeichne einen Mann
schließlich aus, um beiläufig, eingeleitet von einem Außerdem,
auf genau den Punkt zu kommen, den ich geargwöhnt hatte. Und also
konnt ichs nicht mehr glauben : unmöglich, daß Clemens die
dielendüster freigelegte Phototapete ehrlich genoß und ihm
das staubspinstverhangene Karibikkokos der Vormieter süßes
Djiboutisentiment war. Als Bild passioniert werkelnden Elends allerdings
passabel : Palmen, meisterlich bohrerdurchschossen, Werbeprämie mit
nur geringer Zuzahlung im lichterlohen Strandeinsatz, kalkrieselnde, ins
Schlappe hinein gebogene Dübel, Splitter spröd selbstverzimmerter
Billighölzer deukaliongesät — und hier wuchs viel, wenn
auch wenig Erbetenes.
Am härtesten hatte es das Segment Shakespeare-Sekundär
mit den populären Sondersammelgebieten Bacon, Earl of Oxford und
Cervantes getroffen : dieser stolze Turm war bereits Tag Drei nach der
ersten und einzigen Hälfte des Großen Revirements gefallen,
sperrte — wäre da eine gewesen — die Tür zum Bad
und fraternisierte mit dem Fundament eines Stapels Flann O´Brian,
der sich darin gefiel, die Hohe Statik selbst zu verhöhnen. Nurs
Häuflein Verlorener, die Kommentare zur ungelittenen Ghadafiidee,
war, wenn ich recht überblickte, gewandert, und zwar vom Schirmständer,
fein aus Messing und ohne Schirm und Beckett-Requisite, auf den Wannenrand,
griffnah, sollte wer wagen, sich auf die Klobrille zu setzen (hier
muß das Pflaster irgendwo sein). Das Gespür für den
rechten Ort muß hier bejahen : in der Tat lag sie lang in der Luft,
nun aber hat die Obristenthese vom Sheikh Speare heimgefunden.
In Entratung alles anderen hockten wir in
der Küche, Berge Huxley lagerten ab zu unseren Füßen,
huschig umspielt von Borstenschwänzen. Lidschläge und dann :
Clemens gähnte und probierte trostlos und ohne Hinsehn die kleinen
Feng-Chui-Meister auszutreten. Ich las einen blinden Rhythmus hinein.
Ich mag blinde Rhythmen nicht. Die bestimmen mich zu witternder Nervosität.
Ich wittere nicht gern und bin nicht gern nervös und mein Notkahn
schlingerte : auf dem Campingtisch die von Olim, daß sie ein Ascher
sei, noch ausgekratzte Dose Felix. Die Katzenaugen auf dem Etikett, von
unbekanntem Meister tot ausgemalt, glotzten raumwärts und an ihnen
geleeten Ex-Aspiktränen herab und zwinkerten aus namenlosen Zwischenzuständen
der Verrottung. Bei den englischen Symbolisten und ewigarktischen Heizkörpern
würgten Clemens´ Mangelkatzen athenahaft Gewölle. Ich
verzog den Mund und verzückte :
Wir leben im Zeitalter des Wortes
Tun wir nicht
Es ist nur noch nichts gesagt
Tun wir nicht nur nicht, sondern
schon geraume Zeit nicht mehr
Ich wiederhole : wir leben im Zeitalter
des Wortes
Au contraire : in dem des Auges
—
stierer Blick und Ende einer so viertelgelehrten wie -stündigen Improvisation
über Joaquim di Fiore. Clemens hielt Fiore für einen simplen
Neuplatoniker, wichtig nur, weil er den Ärenreigen derart zu zeichnen
verstand, daß sich Ziffern dem Geist bildbrannten. Ich faßte
den Kalabrier als sehr frühen Hegelianer, der mit dem Exegesekehrblech
im Dreck hohler Verheißungen Späne Sinn zusammenfegt und im
Denktiegel schmilzt, bis sie die Temperatur haben, zu einer adretten Bronze
der Sehnsucht gegossen zu werden. Wenig Verständigung möglich.
Clemens ist kein Asklepios. Er mußte was wollen.
Seit er Hand an Albion gelegt hat, schreibt
Clemens an einem Materialband zu Rosenkranzens ݀sthetik des
Häßlichen‹. Nicht allein, daß er, Gebieter so vieler,
wenn nicht aller Gründe, selten auch nur einen vorzutragen beliebt,
nicht allein, daß er bislang keine Zeile vorgelegt hat : er plant,
dem Text einen Bildteil beizugeben, der sich zu einem Separatum auswachsen
können soll. Er weiß genau, daß ich das ablehne, daß
ich in meinem Herzen Träger bedeutender Einwände gegen Bilderbücher
bin.
Und richtig : Clemens wollte von mir. Er
und ich argumentieren selten auf gemeinsam und wohl bestellter Scholle.
Auch diesmal : der Acker karg, schnell abgegrast und nur zehn Minuten,
bis ein blöder Strunk vertrackte Unterprobleme gesplißt hatte.
Toast so wenig wie Tabak, Reste Ravioli unterwegs in einen noch unentdeckten
sechsten Zustand der Materie. So mümmelten wir am Gegenstand enttäuschter
Phantasien — näher : wie hoch der Grad an Enttäuschung,
der in der Übererfüllung einer Phantasie liegt, einzuschätzen
sei. Clemens setzte ihn auf Null, ich veranschlagte ihn hoch und streute
das bei mir beliebte Motiv narzißtischer Kränkung ein. Nicht,
daß ich groß hätte mitreden können. Was schließlich
hatte ich mit übererfüllten Phantasien zu schaffen ?
NICHT ZUSTÄNDIG
— steht auf meinem irdischen Zelt in phosphoreszierenden Buchstaben,
allen Kultursprachen. ›*Ich kann nur von mir reden und nicht mal
das‹ : diese lebende Fußnote, die sich an jegliches hängt,
das ich beginne : die bin ich. Laberschlacke, würde Clemens
sagen, wer sich nicht als Sprecher eines allgemeinen Gesetzes begreift,
sollte sich neben Fußnoten besser auch gleich dein Jegliches verkneifen.
Jep : sehr wohl befänd ich mich im
Modus Beleidigtsein — die absonderlichen Bedingungen als gegeben
gesetzt — wär ich nicht in der Lage gewesen, mir die Fülle
auszumalen, der es immerhin belieben könnte, mich zu überfallen.
Gekränkt auch, daß ich nicht meinen Willen gekriegt. Von Geburt
an verwirrt der gelernte Stürmer, der ›überglücklich‹
vomiert und sich atemlos suhlt in dem, was seinem Schienbein in der Nachspielzeit
gelang. Gefälligst stammle ein solcher ›glücklich‹
— er tat, was ging. Freud war nicht witzig, wenn er glücklich
den hieß, der nicht die sofortige Exekution sämtlicher Drohungen
des Schicksals erfährt : Glück tritt aus dem, der vollendet
der Realität sich anschmiegt, dem die Sonne im Zenit steht. Begreifst
du ? Wirft übrigens neues Licht auf Chamissos Schlemihl, nein ? Ich
ließ mich weiter ein wie folgt : daß Hyperplutie eine unangleichbare,
stutzende Macht wär, die ein wunder Stolz insgeheim verfolgen müsse.
Nur absolute Deckung mit seinen Phantasmagorien (absolut, das ist
gut) gilt dem Stolz etwas, jede Devianz ist ihm gleich eine der Qualität
und endlos Anlaß bezichtigender Scham und Enttäuschung, da
mag außerichlich eintreten, was will. Und wenn das Ersehnte beiläufig
darunter ist : der Enttäuschung ists nichts, das Sättigende
bleibt verfehlt. Beispiel, Beispiel hatte Clemens geschrien, und ich war
versucht, ein sehr privates Etruskerlächeln des metaphysicon anzuführen,
beließ es aber, da es zu sehr Wasser auf Clemens visuelle Mühlen
gegossen hätte, bei :
Du willst Torte. Nichts so sehr wie
eine Torte. Dann, auf einmal, stehen zwei vor dir. Und du willst dann
nicht beleidigt sein ? Du, der du doch nur eine wolltest ?
Dann hab ich zwei. Sehr gut. Gebe
Gott : mit lecker Konservierungsstoff
Anderes Beispiel, mehr aus deiner
Welt : du willst eine Kleiderablage. Jemand schenkt dir zwei
Dann sag ich Dank und freu mich
und hab zwei
Fußball. Du schießt
in der Neunzigsten das Einsnull. In der Einundneun zigsten das Zweinull.
Abpfiff. Was ist dir noch das Einsnull ?
Das Torverhältnis spielt keine
Rolle ?
Verstehe. Frauen, nehmen wir Frauen.
Du begehrst eine, und dann schmeckt sie besser als du je gedacht
Frauen, aha. Zweie hab ich aber
nicht ?
Von mir aus auch zwei. Oder eine
supergute, suchs dir aus
Aber Kleiner, Schluß jetzt
mal, Akademikerquark, du vertrittst deine Sache schlecht, ja, du weißt
gar nicht, was deine Sache ist. Du bist ein Kind, und sogar begrifflich
unsauber ... Enttäuschung, Beleidigung, Kränkung — wie´s
dir gefällt. Du bist ein Kind, das vorm Einschlafen durch Laberschlacke
seine Eltern am Verlassen des Zimmers hindern will. Aufhalten willst du,
zum rechten Retardieren fehlt dir die Kraft. Hinter deinen Kinkerlitzchen
soll eine seriöse Kränkung stecken ? Du bist höchstens
beleidigt, weil die Welt nicht ist, wie du sie dir ausdenkst, wie du sie
dir nicht mal auszudenken gestattest. Du bist beleidigt von deiner eigenen
Phantasielosigkeit und geängstigt und zwar so sehr, daß du
dich nicht traust, Phantasie zu haben. Du bist wie Momos. Als der an Aphrodite
nichts auszusetzen fand, monierte er, ihre Sandalen würden knarren
Sicher, war was dran, wie sollte ich auch
jemandem, der in Djibouti ein zusätzliches Auskommen im Mädchenhandel
fand, erklären, daß die euphratitische Gesandte in ihrem einladenden
Lächeln mir das Schwert zur Selbstausweisung übergab, was mich
gekitzelt hatte, daß ich das Wunder abwies, schaudernd und anbetend
auf Knien ? Clemens wußte vom Verfehlen und dessen Folgen nichts.
Oder nur sehr anders. Er trat nach einer lepisma saccharina. Ich sahs
: sie überlebte. Es klang aus, unversöhnlich :
Jetzt sei nicht so verbohrt. Zurück
zum Thema. Und das hieß Stenderhoff, oder ? Wie gewänn ich
sie für ein shooting ? Ich will sie, um jeden Preis, diese deine
übererfüllte Phantasie, grad weil sie in der kerngesunden Einbildung
jedes braven Mannes, der krank darniederliegt, mindestens das Vierfache
wiegen müßte. Es geht um Rosenkranz ! Clemens.
Mach was du willst. Ich red nicht
mit ihr
Das also ist dein Zeitalter des
Wortes : nicht reden
Gib mir endlich das Pflaster
Hab keins
VII
Prinz Valet, der stochert bang
Den Notkahn und im Wort
Was ist die Angst ? Die Zeit ist lang
Ein Hafen und ein Ort |
Sieh, die Punktfeuer in der Nacht ! Auf
den Flügeln deiner Lunge gleite dahin ... dann schau, schau deine
Haut, deine Haare, Härchen, hör auf wesenlosen Fibrillen den
Pangesang des Soges, den Strudel der Yoctos ! Das Sternbild der Mansube
mit drei Steinen ! siehs funkeln ! brillante Schwalbenschwänze diamantbesatzt,
schwarzschwer leicht übererdgeworfen, züngelnde Imprägnatur
vor dem Schwarz, das so schwarz wie ein Seelengrund !
Soles occidere et redire possunt :
nobis, cum semel occidit brevis lux,
nox est perpetua una dormienda -
Keine
Lesbia am Torfkanal
So also hängen wie Luftschlangen, so lustig, Spinnweben an den Laternen,
vertrocknet, gaukelnd, und wie Ideen finden sich daran gekreuzigt, baumelnd
und selbstverloren, Eintagsfliegen, blaßtransparente Flügelärmchen,
und nie mand kommt nah genug zu finden, ob diese mit dem seeligen Grinsen
der Erfüllung gestorben sind auch oder ein Gesicht überhaupt
noch haben.
Ein fächerner Kordon treibt vorbei,
die Schwanenhälse im linden Schwung der Fragezeichen gekrümmt.
Schlaf schon und die recken die Flügel und spannen herrlich weit
und treiben weiter. Weiter hinten Häuser, Fenster, Lampendimmern.
Nenn es anheimelnd, nenn es wohlig, aber wisse : dort streiten Prinzipienaffen
im Lichte ältester Erkenntnisse, geheimer Mystagogenbeteuerung, köstlichsten
Wissens und Rechthabens vornehmster Herkunft. Angenehme Vorstellung, ganz
gewiß bestehen zu dürfen und goldene Epauletten zu tragen und
den Konditional herzusagen. O wieviel Faustgeball und Redenschwingen,
wieviel Füße unter Tischen und Götter, die die Welt erlösten
... man käme kaum zum Abendbrot, ginge eh besser durchs Leben beleidigt
und schlank
Atme und hab acht, daß du nicht vor
der Zeit bröckelst wie die Wirklichkeit um dich her. Du bist nichts
Bessres. Und kann schon passiern, daß am Ende was bloßliegt.
Wie bei diesem Taubensternum. Ein quaddelndes Stück Herz lungert
hervor, grüßt und läßt in seinen freibänklerischen
Zuckungen nach. Läßt nach. Da haben wir doch mal ein letztes
Wort. Läßt nach
*** |